Streitpunkt akzeptanz- oder abstinenzorientierte Drogenhilfe

Aus dem idh-Jahresbericht 2007

Ich beziehe mich auf zwei Ereignisse, die 2008 stattgefunden haben. Das Vorfeld und die Vorbereitung dieser beiden Ereignisse reichen jedoch bis weit in das Jahr 2007 zurück. Zum einen geht es um die Frankfurter Drogen-Konferenz im Februar 2008 und zum zweiten geht es um die Entscheidung des Dachverbandes „akzept e. V.“, im Dachverband und damit unter dem größeren Schirm der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zu verbleiben. Beide Events scheinen zunächst völlig ohne inneren Zusammenhang zu sein, gleichwohl finden sich bei beiden Veranstaltungen vielfältige Berührungspunkte.

Schon der Titel der Frankfurter Konferenz „Mit dem Apfel fing alles an..“ verweist darauf, dass das Suchtthema geradezu alttestamentarische anthropologische Ursprünge hat. Nach Kupfer (2006) ist die verbotene Frucht im Garten Eden der Prototyp der bewusstseinsverändernden Rauschmittel und mithin eine extrem ursprüngliche menschliche Erfahrung. Ausgehend von der Tatsache, dass nach einer Aufbruchstimmung Anfang der 90er Jahre die kommunale Drogenpolitik mittlerweile ins Stocken geraten ist, ging es bei dieser Konferenz insbesondere darum, die Drogenpolitik und die Konsequenzen für die Drogenhilfe wieder stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Die kritischen Anmerkungen von Amendt und Nestler zu den Disparitäten und Wirksamkeitsproblemen zwischen den Polen Rehabilitation/Prävention einerseits und Repression/Strafrecht andererseits hat für erheblichen Diskussionsstoff gesorgt und gezeigt, dass der in Frankfurt proklamierte Konsens zwischen den Beteiligten immer wieder neu erarbeitet und diskutiert werden muss.

Der Such- und Aushandlungsprozess um einen angemessenen Umgang mit Drogen ist unter dem aktuellen gesundheitlichen Mainstream, der eher durch Verbote und Ausschluss agiert (siehe Änderung des Schulgesetzes in Nordrhein-Westfalen, Verringerung der kleinsten Menge für den Selbstkonsum, drohendes Ende der Heroinabgabe etc.), keineswegs leicht und einfach. Die Auswirkungen dieser Tendenzen auf die niedrigschwellige Drogenhilfe hat Bossong ins Zentrum seiner Ausführungen mit dem Vortrag „Was nutzt, was schadet: Wie kann sich die niedrigschwellige Drogenhilfe weiter entwickeln?“ gestellt. Bossong fürchtet, dass die Anspruch heischende abstinenzorientierte Therapie und Beratung die niedrigschwellige Drogenhilfe diskriminiere, die selbst mehr und mehr zur Elendsverwaltung degeneriere und Segregation fördere. Es bestehe die Gefahr der Deklassierung niedrigschwelliger Drogenhilfe. Seiner Ansicht nach fehlen zudem spezifische niedrigschwellige Fallmethoden. Wenn die Kritik in Details auch überzogen und überspitzt formuliert ist, so sollte sie doch als Warnung begriffen werden, um Auseinandersetzungen um aktuelle Entwicklungen zu verstehen.

Die von Körkel präsentierten Ergebnisse der KISS-Studie, die seit 2006 in der idh durchgeführt wird, konnte die Kritik zumindest in Ansätzen relativieren. Alleine die detaillierte Erfassung der Konsummuster der TeilnehmerInnen in dieser Studie dokumentiert die Vielfalt der Änderungsoptionen und Verbesserung von Alltags- und Lebensbedingungen. Entsprechend differenziell und passgenau können damit Interventionsindikationen verbunden und so auf die Dauer bessere Ergebnisse der Betreuung generiert werden. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschungen liefern daher ausreichend Material, um einen verbesserten stepped-care-Ansatz bei unseren KlientInnen umzusetzen. Das in der Diskussion proklamierte und kritisierte Programmhopping kann auf diese Art und Weise zumindest teilweise reduziert werden. Gleichwohl sind die Betreuungs- und Rehabilitationswege bei chronisch Drogenabhängigen keineswegs so linear und simplifiziert zu arrangieren wie bei einem unkomplizierten Beinbruch oder einer Blinddarmoperation.

Das zweite Ereignis betrifft die Initiative einiger NRW-Aktivisten von akzept e. V., die sich vehement gegen einen Verbleib in der DHS ausgesprochen haben. Die Münsteraner Indro-Leute, die NRW-JES-Mitglieder und auch der Verband der akzeptierenden Elternvereine glauben, dass die DHS als abstinenzorientierter Dachverband und Propagandist einer konservativen Drogenpolitik nicht mehr die angemessene Heimat für „akzept e. V.“ sein könne. Die Kritiker verlangen u. a. einen Ausstieg, weil die Thematisierung der Legalisierung von Drogen in der DHS nie und nimmer zum Thema gemacht werde. In einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Februar 2008 in Berlin konnte dann zumindest ein Moratorium vereinbart werden, nach dem akzept bis 2010 in der DHS verbleibt, um dann eine Entscheidung auf Basis der bis dahin gemachten Erfahrungen herbeizuführen.

Die idh und auch die akzeptanzorientierten Frankfurter Drogenhilfevereine haben sich eindeutig für einen Verbleib ausgesprochen, da wir sowohl die bei der DHS erreichten Positionsveränderungen in den letzten Jahren als auch die Öffnung der DHS hin zu schadensminimierenden Ansätzen als insgesamt positiv bewertet haben. Letztlich ging es in dieser Auseinandersetzung um eine alte, offenbar schwelende Auseinandersetzung zwischen Protagonisten einer fundamentalen und pragmatischen Drogenpolitik. Bei all den Auseinandersetzungen muss jedoch auch klargestellt werden, dass die NRWler sich mit weitaus massiveren Rahmenproblemen bei der Umsetzung ihrer Drogenpolitik konfrontiert sehen als das in Frankfurt oder selbst auch in Hessen gewährleistet wird. Insofern sind auch die Verschärfungen bei den Forderungen der NRWler aus ihrem aktuellen drogenpolitischen Kontext her zu verstehen.

Wie kommt es, dass in einem Jahresbericht eines Vereins eine Zusammenfassung einer Konferenz und die Kommentierung eines drogenpolitischen Dissens in einem Dachverband inhaltlich dominieren. Es sind genau diese Herausforderungen, Aufgabenstellungen und Positionskennzeichnungen, die auch unseren Verein von außen und von innen herausfordern. Vorstand, Geschäftsführung und MitarbeiterInnen des Vereins stellen sich diesen Herausforderungen und wir gehen davon aus, dass durch Lebendigkeit, Entwicklungsoffenheit und Diskussion neue Ideen besser Fuß fassen können und unsere Arbeit verbessern.

Happel spricht

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Prof. Dr.
Hans-Volker Happel,
1. Vorsitzender