Thema: Heroinvergabe (Diamorphin-Substitution)
Aus dem idh-Jahresbericht 2006
Die aktuelle Diskussion um die Anerkennung der Diamorphin-Substitution (Heroinvergabe) als Regelleistung im Rahmen medizinischer Behandlungen zeigt wieder einmal, dass wir von einem „normalen“, pragmatischen, oder auf neudeutsch evidenzbasierten Umgang und Verständnis der Drogenproblematik in unserem gesellschaftlichen Diskurs noch weit entfernt sind.
Diamorphin hat sich – nach einer akribischen, detaillierten, wissenschaftlichen und einem bis dato noch nie da gewesenen aufwendigen Feldforschungsversuch für die Zulassung einer Arznei - als das wirksamere Medikament im Vergleich zu Methadon herausgestellt. Die Anerkennung und Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse werden jedoch im Drogenbereich sehr stark von Ideologien und Interessen bestimmt.
Man/frau stelle sich einmal vor, Lobbyisten hätten in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Argument, man/frau habe ein wirksames Psychopharmaka zur Behandlung seelischer Störungen – das war damals vor allen Dingen Chlorpromazin (Megaphen) – jede weitere Entwicklung differenzieller Psychopharmakon verboten und blockiert. Genauso aber argumentiert die drogenpolitische Sprecherin der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Maria Eichhorn, in dem sie auf das mittlerweile gut eingeführte, vor 15 Jahren aber noch verteufelte Methadon verweist. Sie fürchtet die „Enttabuisierung“ einer harten Droge, die dazu auch noch viel zu teuer sei, wobei seriöse Kalkulationen keinen großen Kostenunterschied zwischen der Methadon- und Diamorphinbehandlung ergeben. Anstatt die große Chance der Verbesserung individuell indizierter und differenzieller Behandlungswege bei chronischen Drogenabhängigen zu nutzen, wird die Heroinsubstitution als verbotenes, unreines, sündiges Tabu propagiert. Aber es geht nicht nur den Drogenabhängigen so, die ihrer Krankheit mit der Erfahrung von Leid und Elend begegnen sollen. Über die Verweigerung einer optimalen Behandlung werden Drogenabhängige für ihren selbstverschuldeten Zustand bestraft. Auch Schmerzpatienten und Sterbende haben bei uns nicht viel zu lachen. Leiden, Schmerzen und Tod sind demnach Zeichen einer christlich unakzeptablen Versündigung, die mit Demut, Gebet und Tapferkeit auszuhalten und zu bewältigen sind.
Mit welch selektiven (Miss-) Wahrnehmungen und postmodernen Sprachspielen in diesem Bereich argumentiert wird, demonstriert der Exekutivdirektor des United Nations Office on Drug on Crime (UNODC), Antonio Maria Costa, in dem er sich darüber beschwert, dass Europa sich massiv für den Klimawandel engagiert, den steigenden Appetit der europäischen Bevölkerung nach Kokain jedoch ignoriere. Und Costa vermutet bei den Europäern eine Scheinheiligkeit, die er ihnen mit der Anmerkung: „Die Produktion von Kokain ist ein Hauptgrund für die Umweltzerstörung“ um die Ohren haut. UNODC ist demnach die entscheidende globale Agentur, die über den Kampf gegen Drogen und Kriminalität den nachhaltigsten Klimaschutz organisiert. Absurder kann keine Argumentation sein.
In einem Hofbericht der Erfolgsmeldungen konstatiert er, dass Dank des großen Engagements von UNODC das Drogenproblem weltweit in Grenzen gehalten werde. Dabei bezieht er sich vorwiegend auf Angaben aus Nordamerika und Europa. Im Iran leben nach Schätzungen bis zu 5 Millionen Heroinabhängige, Tendenz steigend. Die galoppierende Drogenproblematik in Zentralasien, Pakistan und Vorderindien wird daher schlicht ignoriert. Diese Teile der Erde gehören offensichtlich nicht in den Betrachtungsfokus. Frei nach dem Motto „Global denken, lokal handeln“ kann ein Verein wie die Integrative Drogenhilfe derartige Argumentationslinien nur immer wieder kritisch hinterfragen, deren Ineffizienz verdeutlichen und durch konkretes Handeln vor Ort zumindest Schlimmeres verhindern.