Drogenabhängige auf ihrem Lebensweg begleiten

Eigenverantwortung und Selbstbestimmung stärken

Die wichtigsten Erkenntnisse für unsere Arbeit leiten sich aus der Frankfurter Resolution (1990) ab. Hier wurde u. a. konstatiert, dass eine Drogenpolitik, die Sucht ausschließlich mit Strafrecht und Zwang zur Abstinenz bekämpfen will und die Abstinenzmotivation zur Voraussetzung von staatlicher Hilfe macht, gescheitert sei und daher neue Wege im Rahmen der niedrigschwelligen Drogenarbeit entwickelt und ausgebaut werden müssen. Unsere innovative Stärke beruht auf der grundsätzlichen Bereitschaft, Altbekanntes in Frage zu stellen, Bestehendes zu verbessern, Neues auszuprobieren und dabei auch ungewöhnliche Wege einzuschlagen.

In unseren Einrichtungen und Projekten haben wir es hauptsächlich mit Drogen konsumierenden Frauen und Männern zu tun, deren Lebensinhalt und -alltag von der Beschaffung und dem Konsum illegaler Drogen bestimmt und beherrscht wird. Sie befinden sich oft in einer so stark angegriffenen physischen und psychischen Verfassung, dass sie für klassische therapie- oder abstinenzorientierte Hilfeangebote (noch) nicht zugänglich sind. Diesen Menschen und ihrer Lebenssituation widmen wir unsere ganze Aufmerksamkeit.

Motivational Interviewing

Unsere MitarbeiterInnen arbeiten nach den Grundsätzen des Motivational Interviewing (M.I.). Sie begegnen den KlientInnen mit Geduld, Vertrauen und Wertschätzung. Sie wissen, dass alle DrogenkonsumentInnen eine Verbesserung ihrer Lebenssituation wünschen und sind davon überzeugt, dass alle in sich selbst bereits gute Gründe für eine Veränderung ihres Drogenkonsums besitzen. Eine Veränderung setzt aber neben dem Willen auch das Können voraus. Drogenabhängige brauchen Lebens- und Rahmenbedingungen, aus denen sie Kraft und Selbstvertrauen schöpfen und letztlich Veränderungen wagen können. Diese Rahmenbedingungen wollen wir schaffen, verbessern und die entstehenden Veränderungsprozesse optimal begleiten, damit die Betroffenen den für sie passenden Weg finden, wählen und selbstbestimmt beschreiten können.

Thema: Heroinvergabe (Diamorphin-Substitution)

Aus dem idh-Jahresbericht 2006

Die aktuelle Diskussion um die Anerkennung der Diamorphin-Substitution (Heroinvergabe) als Regelleistung im Rahmen medizinischer Behandlungen zeigt wieder einmal, dass wir von einem „normalen“, pragmatischen, oder auf neudeutsch evidenzbasierten Umgang und Verständnis der Drogenproblematik in unserem gesellschaftlichen Diskurs noch weit entfernt sind.

Diamorphin hat sich – nach einer akribischen, detaillierten, wissenschaftlichen und einem bis dato noch nie da gewesenen aufwendigen Feldforschungsversuch für die Zulassung einer Arznei - als das wirksamere Medikament im Vergleich zu Methadon herausgestellt. Die Anerkennung und Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse werden jedoch im Drogenbereich sehr stark von Ideologien und Interessen bestimmt.

Man/frau stelle sich einmal vor, Lobbyisten hätten in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Argument, man/frau habe ein wirksames Psychopharmaka zur Behandlung seelischer Störungen – das war damals vor allen Dingen Chlorpromazin (Megaphen) – jede weitere Entwicklung differenzieller Psychopharmakon verboten und blockiert. Genauso aber argumentiert die drogenpolitische Sprecherin der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Maria Eichhorn, in dem sie auf das mittlerweile gut eingeführte, vor 15 Jahren aber noch verteufelte Methadon verweist. Sie fürchtet die „Enttabuisierung“ einer harten Droge, die dazu auch noch viel zu teuer sei, wobei seriöse Kalkulationen keinen großen Kostenunterschied zwischen der Methadon- und Diamorphinbehandlung ergeben. Anstatt die große Chance der Verbesserung individuell indizierter und differenzieller Behandlungswege bei chronischen Drogenabhängigen zu nutzen, wird die Heroinsubstitution als verbotenes, unreines, sündiges Tabu propagiert. Aber es geht nicht nur den Drogenabhängigen so, die ihrer Krankheit mit der Erfahrung von Leid und Elend begegnen sollen. Über die Verweigerung einer optimalen Behandlung werden Drogenabhängige für ihren selbstverschuldeten Zustand bestraft. Auch Schmerzpatienten und Sterbende haben bei uns nicht viel zu lachen. Leiden, Schmerzen und Tod sind demnach Zeichen einer christlich unakzeptablen Versündigung, die mit Demut, Gebet und Tapferkeit auszuhalten und zu bewältigen sind.

Mit welch selektiven (Miss-) Wahrnehmungen und postmodernen Sprachspielen in diesem Bereich argumentiert wird, demonstriert der Exekutivdirektor des United Nations Office on Drug on Crime (UNODC), Antonio Maria Costa, in dem er sich darüber beschwert, dass Europa sich massiv für den Klimawandel engagiert, den steigenden Appetit der europäischen Bevölkerung nach Kokain jedoch ignoriere. Und Costa vermutet bei den Europäern eine Scheinheiligkeit, die er ihnen mit der Anmerkung: „Die Produktion von Kokain ist ein Hauptgrund für die Umweltzerstörung“ um die Ohren haut. UNODC ist demnach die entscheidende globale Agentur, die über den Kampf gegen Drogen und Kriminalität den nachhaltigsten Klimaschutz organisiert. Absurder kann keine Argumentation sein.

In einem Hofbericht der Erfolgsmeldungen konstatiert er, dass Dank des großen Engagements von UNODC das Drogenproblem weltweit in Grenzen gehalten werde. Dabei bezieht er sich vorwiegend auf Angaben aus Nordamerika und Europa. Im Iran leben nach Schätzungen bis zu 5 Millionen Heroinabhängige, Tendenz steigend. Die galoppierende Drogenproblematik in Zentralasien, Pakistan und Vorderindien wird daher schlicht ignoriert. Diese Teile der Erde gehören offensichtlich nicht in den Betrachtungsfokus. Frei nach dem Motto „Global denken, lokal handeln“ kann ein Verein wie die Integrative Drogenhilfe derartige Argumentationslinien nur immer wieder kritisch hinterfragen, deren Ineffizienz verdeutlichen und durch konkretes Handeln vor Ort zumindest Schlimmeres verhindern.

Streitpunkt akzeptanz- oder abstinenzorientierte Drogenhilfe

Aus dem idh-Jahresbericht 2007

Ich beziehe mich auf zwei Ereignisse, die 2008 stattgefunden haben. Das Vorfeld und die Vorbereitung dieser beiden Ereignisse reichen jedoch bis weit in das Jahr 2007 zurück. Zum einen geht es um die Frankfurter Drogen-Konferenz im Februar 2008 und zum zweiten geht es um die Entscheidung des Dachverbandes „akzept e. V.“, im Dachverband und damit unter dem größeren Schirm der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zu verbleiben. Beide Events scheinen zunächst völlig ohne inneren Zusammenhang zu sein, gleichwohl finden sich bei beiden Veranstaltungen vielfältige Berührungspunkte.

Schon der Titel der Frankfurter Konferenz „Mit dem Apfel fing alles an..“ verweist darauf, dass das Suchtthema geradezu alttestamentarische anthropologische Ursprünge hat. Nach Kupfer (2006) ist die verbotene Frucht im Garten Eden der Prototyp der bewusstseinsverändernden Rauschmittel und mithin eine extrem ursprüngliche menschliche Erfahrung. Ausgehend von der Tatsache, dass nach einer Aufbruchstimmung Anfang der 90er Jahre die kommunale Drogenpolitik mittlerweile ins Stocken geraten ist, ging es bei dieser Konferenz insbesondere darum, die Drogenpolitik und die Konsequenzen für die Drogenhilfe wieder stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Die kritischen Anmerkungen von Amendt und Nestler zu den Disparitäten und Wirksamkeitsproblemen zwischen den Polen Rehabilitation/Prävention einerseits und Repression/Strafrecht andererseits hat für erheblichen Diskussionsstoff gesorgt und gezeigt, dass der in Frankfurt proklamierte Konsens zwischen den Beteiligten immer wieder neu erarbeitet und diskutiert werden muss.

Der Such- und Aushandlungsprozess um einen angemessenen Umgang mit Drogen ist unter dem aktuellen gesundheitlichen Mainstream, der eher durch Verbote und Ausschluss agiert (siehe Änderung des Schulgesetzes in Nordrhein-Westfalen, Verringerung der kleinsten Menge für den Selbstkonsum, drohendes Ende der Heroinabgabe etc.), keineswegs leicht und einfach. Die Auswirkungen dieser Tendenzen auf die niedrigschwellige Drogenhilfe hat Bossong ins Zentrum seiner Ausführungen mit dem Vortrag „Was nutzt, was schadet: Wie kann sich die niedrigschwellige Drogenhilfe weiter entwickeln?“ gestellt. Bossong fürchtet, dass die Anspruch heischende abstinenzorientierte Therapie und Beratung die niedrigschwellige Drogenhilfe diskriminiere, die selbst mehr und mehr zur Elendsverwaltung degeneriere und Segregation fördere. Es bestehe die Gefahr der Deklassierung niedrigschwelliger Drogenhilfe. Seiner Ansicht nach fehlen zudem spezifische niedrigschwellige Fallmethoden. Wenn die Kritik in Details auch überzogen und überspitzt formuliert ist, so sollte sie doch als Warnung begriffen werden, um Auseinandersetzungen um aktuelle Entwicklungen zu verstehen.

Die von Körkel präsentierten Ergebnisse der KISS-Studie, die seit 2006 in der idh durchgeführt wird, konnte die Kritik zumindest in Ansätzen relativieren. Alleine die detaillierte Erfassung der Konsummuster der TeilnehmerInnen in dieser Studie dokumentiert die Vielfalt der Änderungsoptionen und Verbesserung von Alltags- und Lebensbedingungen. Entsprechend differenziell und passgenau können damit Interventionsindikationen verbunden und so auf die Dauer bessere Ergebnisse der Betreuung generiert werden. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschungen liefern daher ausreichend Material, um einen verbesserten stepped-care-Ansatz bei unseren KlientInnen umzusetzen. Das in der Diskussion proklamierte und kritisierte Programmhopping kann auf diese Art und Weise zumindest teilweise reduziert werden. Gleichwohl sind die Betreuungs- und Rehabilitationswege bei chronisch Drogenabhängigen keineswegs so linear und simplifiziert zu arrangieren wie bei einem unkomplizierten Beinbruch oder einer Blinddarmoperation.

Das zweite Ereignis betrifft die Initiative einiger NRW-Aktivisten von akzept e. V., die sich vehement gegen einen Verbleib in der DHS ausgesprochen haben. Die Münsteraner Indro-Leute, die NRW-JES-Mitglieder und auch der Verband der akzeptierenden Elternvereine glauben, dass die DHS als abstinenzorientierter Dachverband und Propagandist einer konservativen Drogenpolitik nicht mehr die angemessene Heimat für „akzept e. V.“ sein könne. Die Kritiker verlangen u. a. einen Ausstieg, weil die Thematisierung der Legalisierung von Drogen in der DHS nie und nimmer zum Thema gemacht werde. In einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Februar 2008 in Berlin konnte dann zumindest ein Moratorium vereinbart werden, nach dem akzept bis 2010 in der DHS verbleibt, um dann eine Entscheidung auf Basis der bis dahin gemachten Erfahrungen herbeizuführen.

Die idh und auch die akzeptanzorientierten Frankfurter Drogenhilfevereine haben sich eindeutig für einen Verbleib ausgesprochen, da wir sowohl die bei der DHS erreichten Positionsveränderungen in den letzten Jahren als auch die Öffnung der DHS hin zu schadensminimierenden Ansätzen als insgesamt positiv bewertet haben. Letztlich ging es in dieser Auseinandersetzung um eine alte, offenbar schwelende Auseinandersetzung zwischen Protagonisten einer fundamentalen und pragmatischen Drogenpolitik. Bei all den Auseinandersetzungen muss jedoch auch klargestellt werden, dass die NRWler sich mit weitaus massiveren Rahmenproblemen bei der Umsetzung ihrer Drogenpolitik konfrontiert sehen als das in Frankfurt oder selbst auch in Hessen gewährleistet wird. Insofern sind auch die Verschärfungen bei den Forderungen der NRWler aus ihrem aktuellen drogenpolitischen Kontext her zu verstehen.

Wie kommt es, dass in einem Jahresbericht eines Vereins eine Zusammenfassung einer Konferenz und die Kommentierung eines drogenpolitischen Dissens in einem Dachverband inhaltlich dominieren. Es sind genau diese Herausforderungen, Aufgabenstellungen und Positionskennzeichnungen, die auch unseren Verein von außen und von innen herausfordern. Vorstand, Geschäftsführung und MitarbeiterInnen des Vereins stellen sich diesen Herausforderungen und wir gehen davon aus, dass durch Lebendigkeit, Entwicklungsoffenheit und Diskussion neue Ideen besser Fuß fassen können und unsere Arbeit verbessern.

Die Frankfurter Resolution

Gemeinsam neue Wege gehen

1990 trafen sich in Frankfurt am Main VertreterInnen der Städte Amsterdam, Zürich, Hamburg und Frankfurt, um gemeinsam die „Frankfurter Resolution“ zu verfassen. Bis heute haben dieses Dokument mehr als 20 europäische Städte unterzeichnet, die sich als European Cities of Drug Policy (ECDP) in regelmäßigen Konferenzen über alternative Strategien kommunaler Drogenpolitik austauschen und gemeinsam nach neuen Wegen in der Drogenpolitik suchen.

Die Verfasser der Resolution stellten fest, „dass der Versuch der Eliminierung des Drogenangebots und des Drogenkonsums aus unserem Kulturkreis gescheitert ist und die Nachfrage nach Drogen trotz aller Aufklärungsbemühungen weiter anhält. Die Sucht nach Drogen ist ein gesellschaftliches Phänomen, das die Drogenpolitik nicht verhindern, sondern nur regulieren und allenfalls begrenzen kann. Eine Drogenpolitik, die Sucht ausschließlich mit Strafrecht und Zwang zur Abstinenz bekämpfen will, ist gescheitert. Kriminalisierung steht der Drogenhilfe und Drogentherapie im Weg und weist Polizei und Justiz eine Aufgabe zu, die sich nicht lösen können.“

Die daraus resultierenden Konsequenzen lauteten: „In der Drogenpolitik müssen die Prioritäten dramatisch geändert werden. Hilfe für die Süchtigen darf nicht im Schatten der strafrechtlichen Verfolgung stehen, sondern muss zusammen mit Prävention und Erziehungsarbeit gleichrangiges Ziel der Drogenpolitik sein. Im Umgang mit Drogenabhängigkeit und Drogenabhängigen muss ein Hochmaß an sozial- und gesundheitlicher Hilfe ermöglicht und repressive Interventionen auf ein Mindestmaß reduziert werden.

Wer Leid, Elend und Tod verringern will, muss die Süchtigen erstens vom Druck der polizeilichen Verfolgung wegen ihres Drogengebrauchs befreien und darf zweitens die Hilfeangebote nicht an das strikte Ziel totaler Drogenabstinenz koppeln. Hilfe soll nicht nur auf Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit abzielen, sondern muss auch ein menschenwürdiges Leben mit Drogen ermöglichen.“